Als Auguste Rodin im Juni 1902 Wien besuchte, lud Berta Zuckerkandl den großen französischen Bildhauer zusammen mit Gustav Klimt, Österreichs berühmtestem Maler, zu einer Jause ein, einem typischen Wiener Nachmittag mit Kaffee und Kuchen. Berta, ihrerseits eine renommierte Kunstkritikerin und Grande Dame eines der distinguiertesten Wiener Salons, erinnert sich in ihrer Autobiographie an diesen denkwürdigen Nachmittag:
Neben Klimt saßen zwei wunderschöne Frauen, die auch Rodin entzückten… Alfred Grünfeld [der in Wien lebende frühere Hofpianist von Kaiser Wilhelm I.] hatte sich in dem großen Saal, dessen Flügeltüren weit offen standen, ans Klavier gesetzt. Klimt schlich sich zu ihm. „Ich bitte, spielen`s uns Schubert!“ Und Grünfeld, die Zigarre im Mund, träumte Schubert vor sich hin.
Da beugt sich Rodin zu Klimt hinüber. „So etwas wie bei Euch hier habe ich noch nie gefühlt! Ihre Beethoven-Freske, die so tragisch und so selig ist; Eure tempelartige unvergeßliche Ausstellung und nun dieser Garten, diese Frauen, diese Musik! Und um Euch, diese kindliche Freude! Was ist das nur?“
Ich übersetzte Rodins Worte. Klimt neigte seinen schönen Petrus-Kopf und sagte nur ein Wort:
„Österreich!“
Aus dem Vorwort von Eric Kandel, Das Zeitalter der Erkenntnis, Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute, Siedler 2012*. Eric Kandel ist ein US-amerikanischer Nobelpreisträger, einer der bedeutendsten Neurowissenschaftler des 20. Jahrhunderts und wurde geboren in Wien.
Das Beethoven-Fries wurde zum ersten Mal 1902 in der Wiener Secession ausgestellt.
Jubiläen:
- 2020 feiern wir den zweihundertfünfzigsten Geburtstag Beethovens.
- Eric Kandel hat am 7. November 2020 seinen neunzigsten Geburtstag.
- Am 26. Oktober feiern wir den österreichischen Nationalfeiertag.
Foto „Rodin: Der Denker“ aus dem Internet
Lieber Christian,
das habe ich mit Freude gelesen. Die beschriebene Szene und der Nachname von Frau Berta fangen den österreichischen Charakter und Charme sehr gut ein. Herzlichen Glückwunsch zum Feiertag.
Liebe Grüße,
Tanja
Liebe Tanja,
danke Dir! Ich kenne zwar keinen Zuckerkandl persönlich, aber der Name ist mir geläufig, was vermutlich daran liegt, daß es nebst Medizinern, Industriellen, Kunstsammlern dieses Namens auch eine Zuckerkandlgasse in Wien gibt. Ich habe mir die Autobiographie Bertas bestellt. Nur zufällig über das Buch gestolpert, bin ich nun neugierig, weitere Geschichten kennenzulernen.
Liebe Grüße aus Wien, Christian
Ich hoffe, die Biografie ist gut geschrieben, denn Frau Zuckerkandls Leben hört sich faszinierend an. Vielleicht hast Du ja danach Lust, uns darüber zu berichten.
Ich wünsche eine gute Woche in Wien.
Tanja
Ich habe das Buch (Österreich intim, Amalthea) erhalten, doch nun bin ich enttäuscht. es enthält nicht die oben beschriebene Rodin-Episode, und auch sonst wurde es lieblos gekürzt und wie ich sagen möchte verunstaltet, da es den das Buch umwehenden Geist, den man spürt, wenn man den Originaltext liest, nicht mehr atmet. Das Original von 1939 „Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte“ ist nicht mehr lieferbar doch im Internet abrufbar, auf: https://archive.org/details/funfzigjahreweltgeschichte/
Dort kann man auf S. 179 den Originaltext lesen, und so kommt man dahinter, dass auch im Textausschnitt bei Eric Kandel Teile ausgespart wurden, die mir wesentlich erscheinen.
liebe Grüße Christian
Das tut mir leid, lieber Christian. Es ist immer enntäuschend, wenn ein Buch nicht unsere Erwartungen trifft,
Wunderschön die Frauen und die Musik – natürlich Österreich.
Die Feststellung Klimts hat bis heute Bestand!